«Dieses Ritsch-Ratsch-Peng – das geht gar nicht»
In der Pandemie strömen Menschen auf Zeltplätze, die sonst lieber Strandferien machen. Das rüttelt an der Stellung der Dauercamper – und führt zu Wutausbrüchen.
Er tut es wieder!
Mit einer Schar braun gebrannter, barfüssiger Kinder schlendert der Mann mit dem halblangen Haar quer über die Wiese. Ganz entspannt. Es könnte eine friedliche Szene sein, aber für die beiden Dauercamper, die seit 30 Jahren auf den TCS-Campingplatz in Flaach ZH kommen, ist es die reine Provokation. Die Todsünde beim Camping. Keine fünf Minuten ist es her, da kam der Mann schon einmal hier lang und ging quer über ihren Platz. Als wäre es das Normalste der Welt, fremden Leuten quasi durchs Wohnzimmer zu latschen. Und dabei nicht einmal zu grüssen.
Die beiden Rentner sind eigentlich bester Laune, die Sonne scheint, sie fühlen sich wohl hier. Doch dann beginnen sie zu schimpfen. Über die Corona-Camper!
Da war zum Beispiel das Pärchen von letzter Woche mit dem Hund. Auf einmal stand der Köter bei ihnen am Tisch. Ein anderes Mal pinkelte er auf den Platz. Oder der Vater, der mit seinem Bub Fussball spielte und ihr Solarlämpchen kaputt machte. Nicht einmal entschuldigt haben sie sich, diese Corona-Camper.
Konflikte auf dem Campingplatz gab es schon immer. Neu ist, dass heute immer sofort klar ist, wer Schuld hat: die Corona-Camper.
Ein Boom mit Folgen
Camping ist schon länger wieder populär. Die Übernachtungszahlen steigen seit 2016 deutlich, spätestens seit 2018 muss man von einem Boom sprechen. Und dann kam Corona. «Es war wie eine Welle, die uns überrollt hat», sagt Corinne Gisler. Die 33-Jährige hat die Leitung des TCS-Campingplatzes in Flaach ZH im April von ihrem Vater übernommen. Die ausländischen Touristen blieben weg, es war Lockdown – und trotzdem stieg die Zahl der Logiernächte um über 10 Prozent auf 4,2 Millionen.
Plötzlich drängten in Massen Leute auf den Platz, die sich eigentlich nicht fürs Campen interessierten. Die lieber nach Teneriffa ins Strandhotel geflogen wären. «Anfangs amüsierten sich die Saisongäste noch über die Neulinge, die nicht wussten, wie Camping geht», so Gisler.
Mit dem Ansturm verschoben sich auch die Machtverhältnisse. In Flaach hatte Corinne Gisler an manchen Tagen bis zu 50 Anfragen für 3 freie Plätze. Natürlich gab es auch mehr Anfragen für Saisonplätze. «Aber wieso den knappen Platz an Dauercamper vergeben, wenn man die Gelegenheit hat, Tausende von Schweizern nachhaltig fürs Camping zu begeistern», sagt Walter Bieri, Chefredaktor der «Camping Revue». Wer einen Saisonplatz suche, der sei ja schon Kunde – und bleibe es auch. Ganz abgesehen vom finanziellen Aspekt: «Mit einem Feriengast lässt sich bis zu dreimal mehr verdienen – bei schönem Wetter.»
Die Dauercamper fühlen sich unerwünscht
In Flaach sind die Dauercamper schon seit längerem in der Minderheit – so stimme der Anteil, sagt Corinne Gisler. Er werde sich auch nicht mehr ändern. Auch der TCS selbst sagt, man vermiete frei werdende Saisonplätze tendenziell an Touristen – wobei die Mischung auf dem Platz entscheidend sei.
Unter Dauercampern machen derweil Beispiele wie der Fall Erlach am Bielersee die Runde. Dort musste nach einem Besitzerwechsel ein Grossteil der Saisonmieter gehen. Den Verbleibenden wurde die Miete verdreifacht. Zuvor war man auf den Campingplätzen jahrelang froh gewesen um die Dauergäste. Sie garantierten ein festes Einkommen. Und jetzt? Will sie niemand mehr? Dieser Frust entlädt sich nun an den Corona-Campern.
Woran erkennt man die Corona-Camper? «Sie kennen oft die gängigen Campingregeln nicht», sagt Platzwartin Gisler. «Sie tragen keine Masken», sagt Dauercamper René Schönmann. Er mäht gerade seinen Rasen, obwohl das auch der Platzwart erledigen würde. «Sie fahren viel zu schnell», sagt Dauercamperin Heidi Bachmann. Hier könne hinter jedem Wohnwagen ein Kind hervorspringen. Ihre drei Enkelkinder sind gerade zu Besuch. «Zum Glück haben wir hier hinten einen, der hepet immer: Langsam!» Mehr als Schritttempo ist nicht erlaubt.
Heidi Bachmann (69) und ihr Mann Walter (80) kommen seit 41 Jahren hierher. Sie logieren an der sogenannten Riviera, unter Föhren, am Rand des alten Teils des Campingplatzes. Hier ist der Leidensdruck eher gering. Nach hinten schirmt sie ihr Wohnwagen vom Rest des Platzes ab, nach vorne übernimmt das der mit Sträuchern bepflanzte Rheindamm. Aber selbst hier, umgeben von Gleichgesinnten, bleibt man nicht verschont von den Sünden der Corona-Camper.
Die sogenannte Riviera, am Rand des Campingplatzes Flaach, dem bepflanzten Rheindamm zugewandt, ist fest in der Hand der Dauercamper.
Sie putzen ihren Kindern im WC die Zähne, obwohl es dort nur zwei Brünneli und viel zu wenig Platz hat. «Das gruuset mich einfach», sagt Heidi Bachmann und schüttelt sich. Und sie kommen zu viert, um den Abwasch zu machen, auch wenn schon drei andere im Raum sind und draussen an der Tür deutlich eine Vier prangt – das Maximum an zugelassenen Personen. «Das sieht doch auf Französisch genauso aus!», sagt Heidi Bachmann. Das hat sie der welschen Familie gestern auch genau so gesagt. Und sie knallen rücksichtslos mit den Türen ihrer Camping-Büssli. «Dieses Ritsch-Ratsch-Peng – das geht gar nicht.» Heidi Bachmann meint das Geräusch der Schiebetüren. «Auf, zu, auf, zu – man fragt sich: Wie viele Türen hat das Auto bitte denn noch?»
Letztes Jahr sind die Campingplatzbetreiber vom Corona-Ansturm und seinen Folgen überrascht worden. Dieses Jahr hat man sich vorbereitet. Als die Saison im April begann, schrieb Corinne Gisler allen Dauergästen einen Brief. Darin appellierte sie an «ein freundliches Miteinander». Helft den Leuten, weist auf Probleme hin und sagt aber auch, wenn euch etwas stört. Auf eine gute Art. «Die neuen Gäste tun dem Campingplatz gut, aber ohne unsere langjährigen Gäste wäre der Platz nicht derselbe. Wir brauchen beide – und ein gutes Auskommen», sagt die Platzchefin.
Gleichzeitig hat der TCS erstmals einen Knigge veröffentlicht – Benimmregeln für Corona-Camper. Der wichtigste der 12 Punkte ist als einziger hervorgehoben, in fetten Buchstaben: Nehmen Sie keine Abkürzung über die Parzelle eines anderen Campinggastes. Daneben stehen Sachen wie: «Camper sind gesellig und kontaktfreudig, man grüsst sich.» Oder: «Säubern Sie das Abwaschbecken, bevor Sie gehen.» Und besonders wichtig: «Verzichten Sie auf ausgiebige Duschen.»
Wie gut das klappt, zeigt sich in diesen Tagen.
Das Grundproblem bleibt: Die Corona-Camper haben Ferien und suchen die Freiheit. Sie wollen ja gerade raus aus dem Korsett und nicht rein in ein neues. Wohingegen die Dauercamper hier zu Hause sind. Sie suchen das Dorf, die Gemeinschaft.
Christian Furrer übrigens, der Mann mit dem halblangen Haar und der Schar Kinder, der den Zürcher Pensionären in ihr Camper-Wohnzimmer trat, ist gar kein Corona-Camper. Seine Band Lidus hat ein Konzert auf dem Campingplatz gegeben. Die sieben Bandmitglieder gehen jedes Jahr eine Woche mit den Kindern zelten. Ohne die Frauen. Um sich dafür zu bedanken, dass sie das ganze Jahr ihre Musik machen dürfen.
Die Platzordnung hat er trotzdem nicht gelesen. Aber auf dem Strässchen, das er laut Reglement nehmen müsste für den Weg aufs WC, liegt Kies. Und der schmerzt die nackten Kinderfüsse. Also laufen sie lieber über die Wiese. «Ich hatte keine Ahnung, dass die das stört», meint Furrer. «Dann ziehen wir jetzt halt ämel Schuhe an.»