Klassenschnitt regelmässig stark ungenügend

Die Zeit des Erwachsenwerdens

Moderator: Züri Mami

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Hausdrache
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Re: Klassenschnitt regelmässig stark ungenügend

Beitrag von Hausdrache »

Tija, ich kann Stella in vielen Punkten recht geben. Wenn ich sehe, was in den Lehrmitteln alles drin ist und was gefordert wird, dann bekomme ich öfter schlaflose Nächte, weil ich mich frage, wie das gehen muss. Andererseits finde ich geraden den LP21 sehr entlastend. Er fordert Kompetenzen und nicht einfach wissen.
Auch das selber erarbeiten finde ich sehr gut, mache damit bei guten Schülern extrem gute Erfahrungen. Ich arbeite sehr viel so, man kann das auch angeleitet machen. Die Kinder sind extrem gut, weil sie lernen zu denken, Fragen zu stellen, zu beobachten und zu überlegen, wie etwas geht.
Aber, es gibt Kinder, die können das nicht. Schwächere Sekschüler und Realschüler sind nicht in der Lage selber heraus zu finden, wie etwas geht. Auch bleibt es ihnen weniger lange, oft können sie es nach einiger Zeit nicht mehr abrufen. Und sie brauchen sehr viel Zeit für kleinere Schritte.
Die Frage ist dann, kann ich differenzieren und weniger machen, dafür sitzt es dann? Könnte ich sicher, aber da stehen mir dann Eltern im Weg. Die Forderung nach genug Förderung, Training und Hilfe steht dann im Raum. Obwohl man weiss, dass das nicht wirklich etwas bringt, es gab schon früher mit Frontalunterricht und viel mehr Training Realschüler und auch damals ging nur eine Minderheit ins Gymi. Heute gehen mehr Schüler in die Gymnasiale Stufe, wir haben mehr Maturaabsolventen, als zu meiner Zeit.

Es ist aber schwierig geworden. Eltern verstehen die neue Formen nicht, oft fehlt auch das Vertrauen, dass Kinder schon das leisten, was sie können. Andererseits ist aber auch die Frustrationstoleranz der Kinder und der Eltern sehr klein geworden. Wenns nicht gerade klappt, dann liegts am Lehrer, am Lehrmittel, war die Prüfung zu schwierig, der Stoff nicht gut vermittelt, was weiss ich.

Aber, ich merke auch, dass wir uns zu viel diktieren lassen. Lehrmittel sind nicht die Lehrpläne, es gibt nach wie vor die Methodenfreiheit, auch wenn gewisse Stellen das anders sehen wollen und was die Hochschulen sagen ist nicht sakrosankt. Ich höre immer wieder, die haben das in der Ausbildung gesagt. Niemand kann von mir verlangen, dass ich auf jeden Zug aufspringe und mich von bewährtem verabschiede. Das ist mal das Eine. Auch sind zwar Richtwerte für die einzelnen Unités vorhanden, aber letztlich muss ich die Lernziele erreichen. Und zwar Kompetenzmässig, nicht einfach Voci auswendig lernen, sondern Voci kennen und damit Sätze bauen können. Nun kann ich sagen, das kommt mit der Zeit, dank Immersionslernen, was immer propagiert wird. Nur, es beachtet niemand, dass in zwei Lektionen pro Woche Immersionslernen nicht greift. EIn Sprachgefühl kann sich entwickeln, wenn man täglich mit der Sprache konfrontiert ist, wenn man einfach sehr sprachbegabt ist oder aber auch durch den sauberen Aufbau von Sprachstrukturen und das nachdenken darüber, wie Sprache aufgebaut wird. Da können auch verpönte Übersetzungen sehr hilfreich sein, damit der Satzbau verstanden wird. Meine Schüler mögen die ganz gerne, weil es Sicherheit gibt.
Und da setze ich mich halt über das Lehrmittel hinweg und ergänze, so wie ich das für richtig halte. Ich muss nur das Lernziel im Auge haben, nicht irgendwelche Zeitvorgaben. Auch muss ich doch überlegen, welche Schritte nacheinander wichtig sind, damit dann das Zeil erreicht wird. Ich kann zwei Lektionen von Anfang an mit dem komplexen Inhalt füllen, oder ich kann es aufbauend anbieten. Auch kann ich verschiedene Themen verknüpfen. Briefe schreiben mit der Vergangenheitsform zum Beispiel. Auch kann ich die Vergangenheit auf einmal sauber einführen, das braucht zwar im Moment mehr Zeit, dafür spare ich sie dann, wenn es wieder kommt, weil es von Anfang an als Ganzes gesehen werden kann.

Aber, es ist sehr schwierig geworden und was es in der Hauptsache schwieriger macht, ist die Komplexität der Aufgaben. Heute wird Wissen sofort verknüpft abgefragt. Es reicht nicht mehr, dass ich Masseinheiten umrechnen kann, ich muss sie in Sachaufgaben anwenden können, muss schriftlich rechnen können mit Massen und Masse in Wertetabellen darstellen. Die Zeit der Seitenweisen Biigeliumrechnungen ist vorbei. Das macht es extrem anspruchsvoll und führt bei Kindern, die mit mehreren Anforderungen gleichzeitig überforder sind zu schlechteren Leistungen und zum Eindruck, sie könnten nichts. Das bringt dann Eltern in Panik, dabei wäre die Basis schon gelegt, es reicht einfach nicht darüber hinaus, weil da Denkleistungen verlangt werden, die für gewisse Kinder zu komplex sind.

In einer Weiterbildung wurde mir mal gesagt, es gäbe Fertigkeiten und Fähigkeiten. Man könne schon das Einmaleins Testen, auf Zeit dann noch, das sei aber eine Fertigkeit. Wenn wir aber von Kompetenzen und Fähigkeiten ausgehen, dann müssen wir mit dem Einmaleins spielen können und es in anderen Situationen einbringen und anwenden können. Ich glaube das trifft es. Wir prüfen immer weniger Fertigkeiten, das ist heute eh verpönt. Ich komme aber immer wieder auch darauf zurück, weil ich das einfach wichtig finde. Und ich kann Kinder auch mal belohnen mit einem Fertigkeiten Test. Oft sind da Kinder gut, die sonst nicht immer brillieren können und sehr begabte Kinder tun sich mit den Fertigkeiten sehr schwer ;) Sie arbeiten lieber mit komplexen Themen.
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Pädagogik ist der organisierte Kampf der Erwachsenen gegen die Kinder.(Mark Twain)

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stella
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Re: Klassenschnitt regelmässig stark ungenügend

Beitrag von stella »

schoefli
Was ich dir noch schreiben wollte...

Manchmal frage ich auch ganz unverfänglich nach, wenn ich das Gefühl nach Ungerechtigkeit habe...
So à la: "Sie Frau XY, meine Tochter hat mir erzählt, dass sie für falsch gemachte HA einen Eintrag bekommen hat. Ich kann das fast nicht glauben. Wie hätte sie denn die HA machen sollen?"

So merkt die LP, dass sich jemand kümmert und kommt hoffentlich von selber darauf, dass ihr Vorgehen nicht so gut ist. Als "Lehrermutter" muss ich immer besonders behutsam umgehen.

Und du hast noch gefragt, wie es bei uns so läuft. Ja, auch in den Schulen von meinen Töchtern gibt es diese unsagbaren Systeme, die dann auch oft Ungerechtigkeiten verursachen. Wir mögen die nicht, weil viel Energie in diese Systeme statt in die Beziehungspflege investiert wird und solche Systeme gehen auch davon aus, dass SuS extra Dinge schlecht machen. Ich habe sowohl als Mutter als auch als Lehrerin noch nie erlebt, dass ein solches System Einfluss auf das Verhalten gehabt hätte. Es sind immer die gleichen Kinder, die da reinrasseln. Und mit ist es ein Anliegen, dass wir beide, der Schüler, die Schülerin und ich verstehen, warum etwas nicht klappt und das dann angehen. Als Lehrerin stecke ich meine Energie lieber in die Beziehung zu den SuS und in die Lösung von solchen Themen.Ich selber unterrichte seit über 20 Jahren ohne ein solches System. Ich notiere mir zwar, wer was wann vergessen hat und solche Dinge und wenn es mich dann zuviel dünkt, dann schaue ich mit dem betreffenden Kind, woran es liegt. Und da höre ich gerne zu und versuche, Dinge, die mich betreffen, zu ändern. Mir hat schon mal ein Bub gesagt, dass ich die HA einfach zu spät erteile, ob ich die nicht am Anfang der Stunde sagen könne. Kurz vor Mittag könne er sich vor lauter Hunger kaum mehr konzentrieren. Ich habe das dann auf seinen Wunsch geändert und siehe da, er hat die HA fast nie mehr vergessen.

Und klar frage ich mich selber, wenn ein Schnitt ungenügend ist. Ich kann dann aber auch zu unterschiedlichen Antworten kommen. Bei mir ist es nun meistens so, dass dies eher in der 9. Klasse passiert und das, weil die SuS dann einfach abhängen und nicht mehr mitdenken. Ich kann ihnen die Arbeit leider nicht abnehmen.

Aber es gab den Fall auch schon, dass ich das Gefühl hatte, wir können nun den Test machen und dann war der Schnitt tief. Dann kann ich entweder zum Schluss kommen, dass ich noch mal über und dafür was anderes weglasse oder dass ich den Notenschlüssel anpasse.
Man geht nämlich bei der Verteilung der Noten von der Gauschen Kurve aus... Und daran kann man sich statistisch schon ein wenig halten... Beim Anpassen mit dem Notenschlüssel habe ich zwar immer ein wenig ein schlechtes Gewissen, weil sie den Stoff nicht beherrschen. Aber manchmal ist das der einfachere Weg, um etwas abzuschliessen...
Pfunzle 06/04 und Gumsle 10/07

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