Proporzwahl/Parteiwechsel

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Moderator: conny85

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Savuti
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Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von Savuti »

Liebe Swissmoms

Ich habe gerade einen Artikel über die Zürcherin gelesen, die kurz nach den Wahlen die Partei gewechselt hat.

Mein erster Gedanke war, dass bei einer Proporzwahl in erster Linie die Partei einen Sitz erhält und anschliessend die Sitze innerhalb der Partei verteilt werden. Gehört nun dieser Sitz nicht der Partei? Habe auf die Schnelle nichts schlaues dazu gefunden.

Vielleicht weiss ja jemand mehr dazu.

LG, Savuti
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maple
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Re: Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von maple »

Die Vergabe der Sitze erfolgt aufgrund der Parteistimmen, aber gewählt ist schlussendlich eine Person. Sie kann nicht zum Rücktritt gezwungen werden. Aber es ist sonnenklar, dass die Wähler:innen hier hinters Licht geführt wurden. Sie haben GLP gewählt und bekommen FDP. In den Medien wurde heute auch auf ein Bundesgerichtsurteil von 2008 verwiesen, in dem es um einen ähnlichen Fall ging. Legal ist der Parteiwechsel von Isabel Garcia, aber er ist unter aller Sau und untergräbt das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen. Muss man sich nicht wundern, wenn die Wahlbeteiligung tief ist, und die Leute das Vertrauen verlieren.
Grosse Schwester 08/13
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maple
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Re: Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von maple »

Hier der Link zum Tagi-Artikel (Abo, drum Spoiler): https://www.tagesanzeiger.ch/es-braeuch ... 4350023473
Spoiler:
War Isabel Garcias Parteiwechsel rechtens?
«Juristisch gesehen kann man Isabel Garcia nicht belangen», sagt Andreas Glaser, Staatsrechtsprofessor an der Universität Zürich und Leiter des Zentrums für Demokratie in Aarau. Zwar gilt das Zürcher Wahlsystem, der sogenannte doppelte Pukelsheim, allgemein als Parteiwahl. Die Parteistärke bestimmt die Anzahl der Sitze.

Dennoch spielt auch eine persönliche Komponente mit. Politikerinnen und Politiker werden in Wahlkreisen gewählt, ihre Namen können auf den Wahlzetteln kumuliert oder gestrichen werden. «Damit bekommen einzelne Köpfe mehr oder weniger Stimmen als die Konkurrenz. Schlussendlich wird damit doch die Person gewählt», sagt Glaser. In einem ähnlichen Fall aus dem Kanton St. Gallen hat das Bundesgericht 2008 entschieden, dass ein Parteiwechsel auch kurz nach einer Wahl zulässig ist. Die Wählerinnen und Wähler hätten keinen Anspruch darauf, dass die parteipolitische Zusammensetzung so bleibt, wie sie bei der Wahl herausgekommen ist.

Wäre eine Reform des Wahlverfahrens möglich, in der man Sitze an Parteien statt an Personen binden würde?
Auch hier kennt Andreas Glaser die Antwort: «Ja, durch ein entsprechendes Gesetz könnte angeordnet werden, dass Parlamentsmitglieder bei einem Parteiaustritt ihren Sitz verlieren. Das Bundesgericht deutet diese Möglichkeit an.» Inwiefern eine solche Reform sinnvoll wäre, hänge davon ab, wie stark man die politische Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten schützen will.

Andreas Glaser ist Experte für Staatsrecht und Leiter des Zentrums für Demokratie in Aarau.
Andreas Glaser ist Experte für Staatsrecht und Leiter des Zentrums für Demokratie in Aarau.
Foto: PD
Könnten die Parteien ihre Mandatsträgerinnen an sich binden?
Das fände der Staatsrechtsprofessor Glaser problematisch: «Die Partei muss ihren Mitgliedern die Freiheit lassen, die Partei zu wechseln.» Im Zürcher Kantonsrat stimmen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier gemäss Kantonsverfassung ohne Weisungen. Das heisst, niemand kann den Ratsmitgliedern vorschreiben, wie sie zu sprechen, zu wählen oder abzustimmen haben. «Es besteht in den meisten Parteien eher eine Art Gentlemen’s Agreement, das Isabel Garcia nicht eingehalten hat.»

Ist der Parteiwechsel von Isabel Garcia ein Einzelfall im Zürcher Kantonsrat?
Nein, einzigartig ist womöglich der Zeitpunkt so kurz nach den Wahlen. In den vergangenen Jahren kam es aber immer wieder zu Parteiübertritten, allein dreimal in der letzten Legislatur. Auch die GLP hat davon schon profitiert. So wechselte zum Beispiel 2019 Kantonsrätin Claudia Wyssen von der SP zur GLP – nur zwei Monate nach ihrer Wahl. Die Grünliberalen haben Wyssen und ihren Lebenspartner, den damaligen Nationalrat Daniel Frei, damals mit offenen Armen empfangen.

2020 schloss sich der ehemalige SVP-Kantonalpräsident Konrad Langhart der CVP-Fraktion (heute Die Mitte) an. Fast so eilig wie Garcia hatte es Maria Rita Marty von der EDU. Rund drei Wochen nach ihrer Wahl in den Kantonsrat wechselte sie zur SVP, die mit der EDU für die kommende Legislatur eine Fraktion bildete. Anders als Wyssen und Langhart wurde sie dieses Jahr in ihrer neuen politischen Heimat nicht wiedergewählt.

Passt Garcia politisch besser zur FDP als zur GLP?
Schwierig zu sagen. Vergleicht man das Smartvote-Profil von Isabel Garcia mit der GLP und der FDP in ihrem Wahlkreis Stadt Zürich Kreis 3 und 9, zeigt sich, dass in fünf von acht Bereichen Garcia näher bei der GLP politisiert. In den Finanzfragen steht sie tendenziell der FDP näher. Das Smartvote-Profil sagt jedoch nichts über die persönliche Gewichtung der jeweiligen Themen aus.


Was sind die nächsten Schritte der GLP?
«Wir können Isabel Garcia nicht zu einem Rücktritt zwingen. Wir können sie nur um einen Rücktritt bitten», sagt Corina Gredig, Co-Präsidentin der Grünliberalen des Kantons Zürich, dazu. «In einem persönlichen Gespräch werden wir sie bitten, den Willen der Wählerinnen und Wähler zu respektieren und zurückzutreten, damit der Sitz der GLP erhalten bleibt. Aber dafür muss sie kooperieren.»

Immerhin bleibt der GLP Garcias Sitz in der Finanzkommission. Als FDPlerin kann sie diesen nicht behalten.

Wird Isabel Garcia denn an der kommenden Kantonsratssitzung am nächsten Montag bereits bei der FDP sitzen?
Ja, der Sitzplan des Kantonsrats wurde bereits geändert. Neu sitzt Isabel Garcia auf Platz 126 bei der FDP.

Garcia selbst teilt auf Anfrage mit, sie nehme die Aufregung um ihren Parteiwechsel «gelassen». Sie werde sich vorläufig nicht weiter dazu äussern.
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Savuti
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Re: Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von Savuti »

Danke viel mal maple

Ich selber bin als parteilose in einer Gemeindekomission. Ein anderer Kandidat aus einer anderen Partei hätte mehr Stimmen als ich gehabt, Seine Partei aber weniger. Deshalb hatte ich schon das subjektive Gefühl, dass der Platz der Partei gehört.

Ein Wechsel z.B. 3 Jahren nach den Wahlen wäre auch etwas anderes als 2 Wochen nach den Wahlen…..
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maple
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Re: Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von maple »

Gemeindewahlen sind doch üblicherweise Majorzwahlen, wenn's keine Parlamentsgemeinde ist? Dein Rechtsempfinden scheint mir übrigens intakt. :) Bei uns in ZH wird der Kantonsrat im "doppelten Pukelsheim" gewählt: Zuerst werden die Stimmen einer Partei im ganzen Kanton zusammengezählt (gewichtet natürlich nach Wahlkreisgrösse), aufgrund dessen wird ermittelt, wie viele Sitze ihr zustehen (min. einen Sitz bekommt, wer im ganzen Kanton min. 3% oder in einem Wahlkreis min. 5% der Stimmen holt). Im zweiten Schritt werden die Sitze auf die einzelnen Wahlkreise runtergebrochen. Erst dann wird geschaut, welche Personen diese Sitze besetzen (die 1., 2., 3., x. Platzierten der jeweiligen Liste). Es ist also mitnichten eine Personenwahl. Die betroffene Person hat zudem nicht sonderlich viele Panaschierstimmen, sondern grösstenteils Listenstimmen.

Speziell ist hier noch, dass es im Zürcher Kantonsrat seit 2019 eine sogenannte "Klimaallianz" gibt aus SP, GLP, Grünen, EVP und AL. Diese hat einige wichtige Geschäfte im Bereich Klima-/Umweltschutz vorangetrieben. Nach den Wahlen blieb die Mehrheit hauchdünn erhalten, mit 91 zu 89 Stimmen. Nach diesem Wechsel steht es nun 90:90. Dass eine jahrelange GLP-lerin den Klimaschutz im Kanton Zürich dermassen zurückwerfen will, ist schon dicke Post.

Die Sache wirft bei uns auch entsprechend grosse Wellen (also zumindest in meiner politikinteressierten Bubble).
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Savuti
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Re: Proporzwahl/Parteiwechsel

Beitrag von Savuti »

Danke für deine Ausführungen. Bin ja etwas weiter weg von Zürich.
Bei uns ist der Gemeinderat ist Majorz, die Kommission jedoch Proporz (mit Listenverbindungen).
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